er
international renommierteste französische Soziologe Pierre Bourdieu
ist im Alter von 71 Jahren in einem Pariser Krankenhaus an den Folgen
einer Krebserkrankung gestorben.
Der
Professor am berühmten Collège de France wurde in Frankreich
als „linker Guru der Intellektuellen“ bezeichnet. Er widmete sein
Leben der Erforschung des Wechselspiels der sozialen Formen und agierte
dabei auf der wissenschaftlichen wie auf der politischen Tribüne.
Schicksalsmacht
der Verhältnisse
Von
der Wissenschaft forderte er eine humanistische Alternative zur Vorherrschaft
der Wirtschaftswissenschaften. Die französische Politik geißelte
er als „Staatsaristokratie“, die sich „den Staat unter den Nagel gerissen
und aus dem öffentlichen Wohl eine Privatsache gemacht“ habe.
Die
Analysen des Soziologen lebten von wuchtigen Begriffen. Vom „blindem
Mechanismus des Kapitals“ und der „Schicksalsmacht der Verhältnisse“
ist die Rede, wenn er in die Rolle des Wortführers der linken
Intellektuellen schlüpfte.Von „Feld“, „Habitus“, „Bausteinen“und
„praxeologischer Theorie der Praxis“ sprach er, wenn er als Professor
und Soziologe auftrat.
In
den 80er und 90er Jahren avancierte der Soziologe und Philosoph zu
einem der populärsten Meinungsbilder in Frankreich. Als linkes
Gewissen der Grande Nation initiierte er 1993 ein Manifest gegen den
Rechtsextremismus, trat auf öffentlichen Solidaritätskundgebungen
mit streikenden Arbeitern auf und polemisierte gegen die "Sachverständigen-Tyrannei
vom Typ Weltbank“.
Gründe
zum Handeln
Auf
internationaler Ebene äußerte sich Bourdieu in Zeitungsartikeln
und Büchern gegen die zunehmende Ökonomisierung der Gesellschaft
und ihr antihumanistisches Menschenbild. Darin wies der „Medienintellektuelle“
sich und seinen Kollegen eine besondere gesellschaftliche Verantwortung
zu, da sie nach seiner Meinung dem Feld der Macht und Politik moralisches
Ansehen und Legitimität verleihen könnten.
Mit
der von ihm gegründeten Vereinigung „Raisons d'agir“ (Gründe
zum Handeln) und der Zeitschrift „Liber“ stellte er das „Wissen von
Soziologen, Psychologen, Historikern in den Dienst der sozialen Bewegung“.
Zu
einem Bestseller geriet der von Bourdieu herausgegebene 900-Seiten-Band
"La misère de monde", in dem er eine breite Analyse sozialer
Missstände durch in Gesprächsform aufgezeichnete Lebensschicksale
abliefert.
Die
Geschichts- und Gesellschaftsphilosophie des Beamtensohnes machte
nicht selten Anleihen bei Marx. Im „Das Elend der Welt“ porträtierte
der Soziologe den „fünften Stand“ der Entrechteten und Enterbten
der Modernisierung. Auf die Frage, wer denn für die Verelendung
der Welt verantwortlich sei, gab er eine eindeutige Antwort: der Neoliberalismus.
Im
April 2000 schlug er vor, die Generalstände der sozialen Bewegungen
in Europa einzuberufen, um eine "gemeinsame Charta auszuarbeiten und
Grundlagen für eine internationaleStruktur zu schaffen, die alle
möglichen organisatorischen und intellektuellen Formen des Widerstands
gegen die neoliberale Politik bündelt."
Vor
zwei Jahren machte er in Berlin von sich reden, als er in der Humboldt-Universität
zur Gründung einer „intellektuellen Internationale“ aufrief.
Im Mittelpunkt der jahrzehntelangen Studien Bourdieus stand die Analyse
von Herrschaftsstrukturen.
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