Pierre Bourdieu |
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sociologue énervant |
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Décès
de Pierre Bourdieu :( |
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Der Tod eines Soziologen. |
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Pierre Bourdieus Tod hat in Frankreich eine erstaunliche Welle medialer Sympathie ausgelöst . Wie über ein soziales System nachdenken, von dem man selbst Teil ist? Wie die kritische Distanz bewahren, wenn man sich persönlich engagiert? Wie ein akademisches System analysieren, dessen international erfolgreicher Repräsentant man selbst geworden ist? Ein Spagat, der dem meist zitierten und meist gelesenen französischen Gegenwartssoziologen Pierre Bourdieu nicht immer gelang und das zentrale, ungelöste (?) Problem seines Lebens bleiben sollte. Was eine spürbare innere Zerrissenheit zur Folge gehabt haben soll, wie seine zahlreichen Weggefährten in der Flut von Nachrufen der letzten Tage unisono feststellten. Folgerichtig lautete auch das Thema seines letzten Kurses im März 2001 am altehrwürdigen [1]College de France, wo er seit 1981 Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie war: "Wie sich selbst zum Objekt nehmen, wenn man Soziologe ist?"
Diese Grenzüberschreitung hat ihn dazu geführt, sich ab den 80er Jahren in das so misstrauisch beäugte mediale Rampenlicht zu rücken: 1980 unterstützte er die Präsidentschaftskandidatur des populären Komikers Coluche, der sich als "Kandidat der Minderheiten" deklariert hatte und auch nach seinem Tod 1986 mit seinen "Restos du Coeur" ( [3]Restaurants des Herzens) in Frankreich nach wie vor, wenn pünktlich zur Weihnachtszeit die Solidarität mit den Verlierern der Wohlstandsgesellschaft ausgerufen wird, für allgemeine Gewissensberuhigung sorgt. 1995 schloss sich Bourdieu der Bewegung der "Sans-Papiers" (ohne Papiere) an, wie jene glücklosen Immigranten genannt werden, die sich nicht im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung wähnen. Im selben Jahr unterstützte er die massive Streikbewegung, die eine geplante Reform der Sozialversicherung ausgelöst hatte. Seine letzten Jahre widmete Bourdieu einer immer virulenter werdenden Kritik des Neoliberalismus, die dazu geführt hat, dass die erwachende soziale Bewegung, die man unter dem handlichen Schlagwort "Globalisierungsgegner" zusammenfasst, sich immer wieder gerne auf Bourdieu beruft. Eine Bewegung für die der Soziologe eindeutige Sympathien hegte, was ihn nicht daran gehindert hatte, zu versuchen, die NGO's zu einer Form von Autokritik zu animieren. Ein Leben lang verteidigte er eine Position des "kritischen Intellektuellen" - "links von links", wie er sich gerne selbst bezeichnete -, dessen Pflicht es sei, sein Wissen hinauszutragen, um möglichst Vielen die "Waffen der Kritik" in die Hände zu geben. Ökonomischer Fatalismus Der Umstand, dass der Begriff "Globalisierung" zum weltweit benutzten und mehr als vagen Sammelbegriff für Neoliberalismus, Sozialabbau im Namen der Rentabilität und die argwöhnisch beäugten multinationalen Konzerne geworden ist, war für Bourdieu - trotz aller Sympathien für deren Gegner- mehr als problematisch. Das mittlerweile zum Gemeinplatz gewordene Schlagwort "Globalisierung" oder "Mondialisation", wie man in Frankreich sagt, war für ihn Teil eines "new planetary vulgate". Eine Neusprache, die leicht handhabbar und daher medial so überstrapaziert sei, die aber eigentlich nur dazu diente, dem armen, wehrlosen Staatsbürger Sand in die Augen zu streuen, wie er in einem [4]Artikel für "Le Monde diplomatique" gemeinsam mit Loïc Wacquant im Mai 2000 schrieb:
Sozialabbau, Arbeitslosigkeit und die Tatsache, dass bei weitem nicht alle an den Freuden der schönen, neuen Konsumwelt teilhaben können oder wollen - letzteres sofern sie sich in der glücklichen Lage befinden, die Wahl zu haben - sei keineswegs fatale Konsequenz eines "globalisierten" Marktes, sondern nichts anderes als eine rein innenpolitische Entscheidung, die nach Entschuldigungen sucht. "Ökonomischen Fatalismus", nannte Bourdieu diese Geisteshaltung, dem offenbar beide Seiten, sowohl Globalisierungsgegner wie die angefeindeten Systemvertreter, anheimfallen. Für Bourdieu handelte es sich um einen Fatalismus, der sich vom "Mekka der Symbole" ausgehend, gemeint sind die USA, rund um den Erdball ausgebreitet hatte. Derlei Analysen brachten Bourdieu freilich den Vorwurf ein, in den letzten Jahren seines Lebens "Agitprop" reinsten Wassers betrieben und eine Art "politischer Sekte" um sich versammelt zu haben, wie der Soziologe Luc Boltanski in einem [5]Nachruf in der Tageszeitung "Le Monde" fast schon verbittert feststellt. Geschwätzige Filter der Welt Nicht weniger harsch fiel Bourdieus Kritik an der journalistischen Zunft und der zunehmenden medialen Konzentration aus, obwohl er sich selbst, zum Wohle der guten Sache, in die Höhle des Löwen begeben hatte. Freilich versuchte er seine medialen Auftritte nach seinen Regeln zu gestalten, verlangte die benötigte Zeit, um ausführlich und exakt antworten zu können und überwachte den Schnitt, also die endgültige Version seines Auftrittes genau. Wer die immer enger werdenden Zeitlimits der Massenmedien kennt, weiß, dass es sich bei diesem durchaus legitimen Versuch zur Zeit um die Quadratur des Kreises handelt. In einem letztes Jahr veröffentlichten Dokumentarfilm "La sociologie est un sport de combat" (Die Soziologie ist eine Kampfsportart) vom ebenso militanten Dokumentarfilmer [6]Pierre Carles hatte er seine entsprechende Plattform gefunden. Für Bourdieu waren die Medien nichts anderes als der verlängerte Arm der Machthaber, hoffnungslos den nur scheinbar unumgänglichen Gesetzen des Marktes und des Profits unterworfen. "Das journalistische Feld, das alle öffentlichen Aussagen gemäss seiner ihm typischen Logik filtert, abfängt und interpretiert" sei nur noch fähig, die Welt in den Kategorien des "für und wider" oder des "alles oder nichts" zu begreifen. Journalisten seien "geschwätzige Feuilletonisten und inkompetente Kommentatoren". Manche französische Medienvertreter scheinen Bourdieu diese Frontalangriffe bis heute noch nicht verziehen zu haben. So veröffentlichte "Le Monde", im Rahmen seiner Sonderausgabe zum Tod des Soziologen, einen ziemlich angerührten [7]Artikel, worin bedauert wird, dass Bourdieu sich nicht die Mühe angetan habe, seine Kritik zu differenzieren und "ungerechterweise" alle Medien in den selben Topf geworfen habe. Um auch der "Gegeninformation" einen Platz im medialen Konzert einzuräumen, gründete Bourdieu 1996 den Verein [8]Liber/Raisons d'agir. Das angeschlossene Verlagshaus veröffentlicht militante Schriften wider den Neoliberalismus. So u.a. seinen Essay "Sur la télévision" ( [9]Kritik des Fernsehens). Ein Grenzgang zwischen Objektivität und Subjektivität Dass sich Bourdieu so weit über die Grenzen seiner theoretischen Welt hinausgewagt hat, mag wohl auch in seinen Anfängen liegen. Kurz nach seinem Abschluss des Studiums der Philosophie in Paris verbrachte der Sohn eines Postbeamten aus dem Südwesten Frankreichs zwei Jahre in Algerien (1958-1960), wo er als Uniassistent seine ersten Schritte in der angewandten Soziologie unternahm. Seine Studien über das Proletariat in Algerien ("Sociologie de l'Algerie", 1958 und "France tu dors" -"Frankreich, du schläfst", 1958), legten den Grundstein für eine Sicht auf die "Geschichte von unten", wie das Günther Grass in einem berühmten [10]Gespräch mit Bourdieu bezeichnet hatte. Noch dazu eine für die Grande Nation alles andere als unproblematische Geschichte, denn das Tabuthema "Algerien und Frankreich" wird erst seit geraumer Zeit nur zögerlich aufgerollt. Die algerischen Jahre scheinen in Bourdieu tiefe Spuren hinterlassen zu haben. So gründete er ein Komitee zur Unterstützung der algerischen Intellektuellen (Cisia) und untersuchte in einem seiner letzten Bücher, "Die männliche Herrschaft", 2001 in Deutschland erschienen, die dominierende Rolle des männlichen Blickes in unseren Gesellschaften über den für ihn nur scheinbaren Umweg der Analyse der Traditionen algerischer Bauern. Gewissermaßen ein Schritt zurück zu den Wurzeln seiner wissenschaftlichen Karriere. Seine persönliche bis zur Aggressivität getriebene Betroffenheit über die "zunehmende Entpolitisierung" unserer Demokratien zu Gunsten einer nicht mehr allzu sozialen Marktwirtschaft, seine Enttäuschung über die europäischen Sozialdemokraten, sein Ruf nach einer europäischen sozialen Bewegung mit einer neuen, verstärkten Rolle für die Gewerkschaften und seine Hasstiraden wider den Neoliberalismus und das "Mekka der Symbole" mögen hoffnungslos sozialromantisch, überholt und utopisch klingen. Doch drängt sich hier die Frage auf, seit wann und warum das Wort "Utopie" fast schon zu so etwas wie einem Schimpfwort geworden ist:
Links [1]
http://www.college-de-france.fr/cdf/default/ins_pro/p1000302692790.htm |
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